Zwei Forscher aus Münster erhalten den Tierschutzforschungspreis 2021 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Wie das Max-Planck-Institut vergangene Woche auf seiner Webseite bekannt gegeben hat, erhalten Henrik Renner und Jan Bruder den Preis für ein Verfahren, mit dem dreidimensionale Gewebestrukturen aus menschlichen Zellen maschinell gezüchtet werden können, die für Grundlagen- oder Toxizitätsforschung eingesetzt werden können. Damit werden weniger Labortiere für Versuche benötigt.
Tierversuche waren essenziell für medizinischen Fortschritt
Auch wenn Versuche an Tieren vielen Schützern und Verbänden ein Dorn im Auge ist, waren sie in der Vergangenheit unverzichtbar und ein Großteil des medizinischen Fortschrittes stützt sich auf diese Versuche. Während die Notwendigkeit, Kosmetik und andere Produkte an Tieren zu testen, kritisch gesehen werden kann, ist es sogar gesetzlich vorgeschrieben, dass Medikamente erst an Tieren getestet werden müssen, bevor die neuen Stoffe in klinischen Studien auch Tests am Menschen unterzogen werden.
Auch wenn heute noch nicht auf die Versuche verzichtet werden kann, gibt es Bestrebungen, die Menge an Tierversuchen auf ein Minimum zu reduzieren. Das BMEL würdigt deshalb jedes Jahr neue Erkenntnisse, die den Einsatz von Labortieren reduziert, mit einem Preisgeld von 25.000 Euro.
Dieses Jahr zeichnet das Ministerium die Arbeit von zwei Forschern des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin in Münster aus, die mit ihrer Entdeckung viele Tiergehirne vor Versuchen schützen konnten. Um Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson zu erforschen oder neue Medikamente zu testen, brauchen die Wissenschaftler Gehirne von Versuchstieren. Daneben gibt es auch die Möglichkeit, die Nervenzellen in Petrischalen zu züchten und zu untersuchen. Durch die Zweidimensionalität dieser Kulturen, sowie dem Fakt, dass menschliche und tierische Nervenzellen doch einige Unterschiede aufweisen, seien diese allerdings nur begrenzt nutzbar.
Was sind Organoide und wie helfen sie Tieren?
Die Organoide, für dessen Herstellung die Forscher ausgezeichnet wurden, bieten der Wissenschaft eine ganz neue Herangehensweise. Durch das Züchten von speziellen menschlichen Nervenzellen wachsen die Kulturen in dreidimensionale Strukturen, die sich untereinander vernetzen können. Durch diese Eigenschaften können sie die Struktur des menschlichen Gehirns besser simulieren als herkömmliche Kulturen aus Tierzellen. Allerdings müssen sie für einen breiten Einsatz in der Wissenschaft einen gewissen Standard an Eigenschaften aufweisen, damit die Ergebnisse verglichen werden können. Da diese bis heute meist von Hand hergestellt wurden, unterscheiden sie sich teils stark in Aufbau und Eigenschaften.
Um Organoide für die Entwicklung und das Testen von neuen Medikamenten bereitzustellen, entwickelten Bruder und Renner ein Verfahren, in dem sie die Zellstrukturen automatisiert parallel züchteten und damit eine Standardisierung erreichten. Da sie sich dabei auf die Erforschung von Parkinson konzentrierten, nutzten sie Zellen aus dem Mittelhirn, also dort, wo die Krankheit den größten Schaden anrichtet. Durch Analysen stellten die Forscher fest, dass die maschinell hergestellten Organoiden, den mit Hand gefertigten Exemplaren in nichts nachstanden.
Auswirkungen sollen sich zukünftig automatisch bestimmen lassen
Durch die Tatsache, dass die Forscher ihre Organoide reproduzieren können, können jetzt Auswirkungen von Giften viel genauer untersucht werden. „Wir können mit unseren Mittelhirn-Organoiden das Absterben von dopaminergen Nervenzellen in einem aktiven, menschlichen Gehirn-ähnlichem Gewebe beobachten – dieselben Zellen, die auch bei Parkinson bevorzugt Schaden nehmen. Sie haben großes Potenzial, die nächste Generation eines neuartigen Krankheitsmodells für diese Erkrankung zu werden. Außerdem können wir die Auswirkung von Giften wie zum Beispiel Pestiziden auf die Organoide vollautomatisch bestimmen“, erklärt Bruder laut Angaben des Instituts.
Auch wie ihre Entwicklung den Tierschutz vorantreibt, erklärt der Forscher aus Münster: „Ich gehe davon aus, dass unser System mittelfristig wenigstens einen Teil der Tierversuche in der neurologischen und pharmakologischen Forschung überflüssig machen wird. Wirkstoffe, die in unserem Versuchssystem toxisch wirken oder nicht ausreichend wirksam sind, könnten frühzeitig aus der Entwicklung ausgeschlossen werden und müssten überhaupt nicht mehr in Tieren getestet werden.“
Bild von Tibor Janosi Mozes auf Pixabay