Bisher interessierte sich die deutsche Forschung vor allem für das Liebesleben von Arbeitern und Studenten. Wie es aber um die sexuelle Gesundheit der gesamten Bevölkerung steht, wurde bisher noch nicht genauer erforscht. Das soll sich mit der neuen GeSiD-Studie ändern.
In den kommenden Monaten sollen 5000 Männer und Frauen, die repräsentativ ausgewählt wurden, Fragen zu ihrem Sexualverhalten beantworten. Damit wollen Forscher aus Hamburg ein gesamtgesellschaftliches Bild der sexuellen Gesundheit in Deutschland ermitteln. Die Studie beinhaltet Fragen, wie: Welche sexuellen Wünsche haben Sie? Wie oft hatten Sie in den letzten vier Wochen Sex? Wissen Sie, was Chlamydien sind? Die letzte Frage ist ein Teil des inhaltlichen Schwerpunkts. Die Studie soll unter anderem Aufschluss darüber geben, wieviel die Deutschen über sexuell übertragbare Krankheiten wissen. Peer Briken, Direktor des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie am Uniklinikum Eppendorf erklärt das Ziel der groß angelegten Studie:“Die Ergebnisse sollen dabei helfen, Präventions-, Vorsorge- und Versorgungsmaßnahmen im Bereich der sexuellen Gesundheit zu entwickeln“, um beispielsweise dem steigenden Infektionsrisiko mit Chlamydien-Bakterien oder anderen Erregern von Geschlechtskrankheiten entgegenwirken zu können. Und „für eine passgenaue und gelingende Prävention sind wissenschaftliche Daten unerlässlich“, ergänzt die Leiterin der GeSiD-Studie Heidrun Thaiss. Das Forschungsprojekt zur Gesundheit und Sexualität in Deutschland (GeSiD) wird von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung für die kommenden drei Jahre gefördert.
GeSiD-Studie längst überfällig
Mit der Studie hinkt Deutschland im Vergleich zu anderen westlichen Ländern hinterher. „Man muss sich klarmachen, dass wir so viele Jahre nach Kinsey, der Ende der 1940er Jahre seine Untersuchungen in den USA durchführte, für Deutschland nach wie vor keinen repräsentativen Sex-Survey haben“, begründet Briken die Notwendigkeit der Studie. Damals hatten die Sexual-Studien des US-Zoologen und Sexualforschers Alfred Kinsey weltweit für großes Aufsehen gesorgt. Selbstverständlich wurden in den letzten Jahrzehnten auch in Deutschland zahlreiche Studien zur Sexualität gemacht worden. Diese deckten aber immer nur einen Teil der Bevölkerung ab, so gab es „in den frühen 70er Jahren eine Untersuchung zur sogenannten Arbeiter-Sexualität, was uns als Kategorie heute selbstverständlich merkwürdig anmutet“, erklärt Briken weiter. Vor allem das Robert Koch-Institut (RKI) hat in Deutschland die Daten bisheriger Studien zu bestimmten Krankheiten gesammelt. Auch hier richtete sich der Fokus auf einzelne Aspekte sexueller Gesundheit. Bei der GeSid-Studie geht es hingegen um ein breites Konzept von sexueller Gesundheit, nach dem Verständnis der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
Breites Konzept von sexueller Gesundheit
Die WHO definiert sexuelle Gesundheit nicht ausschließlich über die Abwesenheit von Krankheiten. Grundvoraussetzung ist eine positive und respektvolle Haltung zu Sexualität und sexuellen Beziehungen. Auch die Möglichkeit, angenehme und sichere sexuelle Erfahrungen zu machen – frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt, gehören zu sexueller Gesundheit dazu. Alle Menschen haben sexuelle Rechte, die geachtet, geschützt und erfüllt werden müssen, erklärt die WHO. Vom dieser Definition ausgehend haben die Forscher die Befragung auch inhaltlich möglichst breit angelegt. Deshalb gehören zum Fragenkatalog neben Fragen zu sexuellen Funktionsstörungen auch Traumatisierung und Gewalt, sexuelle Orientierung, Diskriminierung und Pornografie. Auf die Frage, wie man Menschen dazu bekommt, ehrlich auf Fragen zu antworten, die sehr intime und private Aspekte ihres Lebens berühren, antwortet Briken: „Das ist auf jeden Fall eine Herausforderung, der wir uns qualifiziert stellen wollen und können.“ Um das zu gewährleisten hat sein Institut vorab eine Pilotstudie durchgeführt. Dabei stellte sich interessanterweise heraus, dass Menschen im direkten Gespräch eher bereit sind Auskünfte zu geben, als über Fragebögen.
Sensibles Thema, das Vorbereitung braucht
Für die Interviews wurden für die Studie 200 Interviewer speziell ausgewählt und geschult. Nach einer schriftlichen Vorankündigung werden sie die Studienteilnehmer zuhause in einem Gespärch zu zweit befragen. Dabei werden Frauen von Frauen interviewt und Männer von Männern. Sollte jemand eine Frage doch nicht direkt beantworten wollen, gibt es die Möglichkeit, die Antwort aufzuschreiben, ohne, dass der Interviewer sie lesen kann. Insbesondere wegen des sensiblen Themas wird großer Wert auf Datenschutz und Vertraulichkeit gelegt und die Ergebnisse werden ausschließlich anonymisiert ausgewertet. Einen kleinen Wermutstropfen gibt es allerdings: Wer chronisch krank ist, kein Deutsch versteht oder im Gefängnis ist, wird von der Studie nicht abgebildet. Ansonsten werden alle Bevölkerungsgruppen zwischen 18 und 75 Jahren befragt, ob sie sexuell aktiv sind oder nicht. Die ersten Ergebnisse sollen Ende 2019 vorliegen.