Laut einer neuen Studie aus Österreich und den Niederlanden kann eine Tuberkulose-Impfung die angeborene Immunität bei Menschen mit ruhenden Immunzellen stärken. Den Grund hierfür fanden die Forscher in einer bestimmten Fähigkeit der Immunzellen.
Mögliche Basis für neue Medikamente
Wie die Wissenschaftler in einer Pressemitteilung erläutern, wird der Mensch durch zwei Zweige des Immunsystems geschützt. Die angeborene Immunität bietet einen eingebauten Schutz gegen weit verbreitete Merkmale von Bakterien und Viren, während die adaptive Immunität einzelne Krankheitserreger speichert, mit denen eine Person bereits in Berührung gekommen ist. Durch Impfstoffe lernt dieses adaptive Immunsystem neue Krankheitserreger kennen, ohne eine tatsächliche Infektion durchmachen zu müssen. Offenbar weisen einige Impfungen auch noch einen lohnenden Nebeneffekt auf: sie stärken die allgemeine Wachsamkeit der körpereigenen Immunzellen, auch gegenüber anderen Erregern.
Zu beobachten ist dies bei der sogenannten BCG-Impfung gegen Tuberkulose. Diese verringert nachweislich die Säuglingssterblichkeit, unabhängig von seinem Schutz vor der eigentlich anvisierten Krankheit. Die Mediziner bezeichnen dieses Phänomen als „trainierte Immunität“. Durch sie können angeborene Immunzellen zwischen Ruhe- und Wachzustand wechseln und im Wachzustand eine Infektion effektiver bekämpfen. Entsprechend spannend ist die Vorstellung, diese Stärkung des Immunsystems bewusst zu provozieren. So könne die trainierte Immunität durch Medikamente oder Impfstoffe in Zeiten mit hohem Infektionsrisiko Schutz bieten, z. B. nach einer größeren Operation oder während künftiger Pandemien, noch bevor maßgeschneiderte Impfstoffe zur Verfügung stehen. „Wir können uns eine neue Klasse von Medikamenten vorstellen, die ein schlafendes Immunsystem gezielt aufwecken“, so Mihai Netea, einer der Autoren der Studie. „Ältere Menschen könnten vor einem geplanten Krankenhausaufenthalt einen Impuls für ihr Immunsystem erhalten, und es könnte möglich sein, das unterdrückte Immunsystem von Krebspatienten zu reaktivieren“. Allerdings ist die trainierte Immunität von Person zu Person sehr unterschiedlich, und es ist nicht klar, wer von einer Induktion wie profitieren könnte.
Epigenetische Zellzustände im Visier
Aus diesem Grund entwickelte das österreichisch-niederländische Forschungsteam einen Ansatz, der die Impfung mit BCG und die Analyse von 323 gesunden Freiwilligen beinhaltete. Die Wissenschaftler identifizierten 213 Personen als trainierte Immunitätsresponder und 78 als Nicht-Responder, basierend darauf, ob ihre Produktion entzündlicher Mediatoren am Tag 90 nach der BCG-Impfung gestiegen war. Diejenigen, die auf die Impfung reagierten, produzierten vor der Impfung weniger Mediatoren und hatten mehr ruhende angeborene Immunzellen als die Nicht-Responder. Der Grund für diese Unterschiede liege sowohl bei genetischen als auch bei Umweltfaktoren. Als entscheidenden Faktor identifizierten die Forscher allerdings die sogenannten epigenetischen Zellzustände, die – in Abhängigkeit ihrer Chromatinzugänglichkeit – die Aktivierung von Genen erleichtern oder erschweren. Dieser Prozess spiegele die Regulationsfähigkeit einer Zelle wider, die sie schnell auf Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren lässt. Dies mache sie zu guten Kandidaten für die Regulierung der ausgebildeten Immunität.
Die Forscher betonen, dass die Ergebnisse nicht nur neue Einblicke in die Immunbiologie und die Rolle der Epigenetik liefern, sondern auch die Entwicklung zukünftiger Therapeutika ermöglichen könnten. Mehrere pharmazeutische Unternehmen würden zudem bereits nach Möglichkeiten suchen, eine ausgebildete Immunität zu induzieren, ohne auf den BCG-Impfstoff zurückgreifen zu müssen.
Die Studie „Multi-omics analysis of innate and adaptive responses to BCG vaccination reveals epigenetic cell states that predict trained immunity“ wurde am 9. Januar 2024 im Fachmagazin Immunity veröffentlicht.
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