Forscher gehen im Kampf gegen Nervenkrankheiten neue Wege. Nun wurden Ratten in Versuchen Teile des menschlichen Hirns eingepflanzt. Dabei entstanden tatsächlich Organkombinationen im Körper der Tiere, die wie normale Organe funktionierten, aber keine „echten“ Organe sind.
Neue Wege der Wissenschaft
Für den spektakulären Versuch wurde das Hirngewebe im Reagenzglas gezüchtet und später Ratten in den Kopf eingesetzt. In der Folge ließ sich beobachten, wie das neue Gewebe mit dem Gehirn des Nagers verwuchs und wie ein normaler Teil des Organs zu funktionieren begann. Demnach reagierte es auf äußere Einflüsse und produzierte Neuronen, die Signale in andere Bereiche des Gehirns der Ratte versendeten. Da der Wachstumsprozess von menschlichen Gehirnzellen und der Rattenhirnzellen unterschiedlich lang ist, dauerte es allerdings ein halbes Jahr, bis die implantierten Organoide mit dem Rattenhirn verbunden waren. Das Experiment des an der Stanford University arbeitenden Wissenschaftlers Sergui Pasca, wurde von einer Studie begleitet, die erst vor wenigen Tagen im Fachmagazin Nature veröffentlicht wurde.
Wissenschaftler nutzen immer wieder Gewebestrukturen, die aus den Stammzellen von Menschen gewonnen werden, um das Gehirn nachzubilden. Nachteil des Fremdgewebes ist für die Forschung allerdings, dass es nicht durchblutet wird. Ohne Anbindung an das Blutkreislaufsystem gelangen keine Nährstoffe in das Gewebe und dadurch bleibt es nicht lange aktiv. Zudem werden auch keine Verknüpfungen zu anderen Neuronen geknüpft. „Daher versagen [Gehirnorganoide] oft bei der Modellierung komplexer menschlicher Hirnerkrankungen, die mit der Bildung von Schaltkreisen zusammenhängen, wie Autismus oder Schizophrenie“, zitiert Spektrum die Forscherin Agnieszka Rybak-Wolf vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin. Sie bezeichne die neue Technologie als „3D-Kulturen aus Stammzellen“ und schreibt ihnen neue Möglichkeiten und ein hohes Potenzial in der Forschung zu.
Ethische Fragen bleiben bestehen
Das von Pasca geleitete Forscherteam wollte nun beweisen, dass die neuen Hirnorganoide tatsächlich für die Forschung an neuronalen Krankheiten des Menschen nutzbar sind. Dazu verwenden die Wissenschaftler humanoides Hirngewebe, das bereits mit dem Timothy-Syndrom infiziert war. Diese Krankheit zeigt Wirkungen, die dem ähneln, was weithin unter Authismus bekannt ist. Das kranke Hirngewebe ähnelte dem eines gesunden Organoids. Es wuchs jedoch nicht zu einer Größe heran, wie es von dem gesunden Hirngewebe bekannt war und gab weniger Neuronen ab. Das Hirngewebe war erkennbar krank. Der Versuch war gelungen.
Schon jetzt stößt das Verfahren auf Begeisterung vieler Wissenschaftler. Es muss jedoch noch weiterentwickelt werden. Im Augenblick ist die Umsetzung noch zu teuer für eine Anwendung im Kampf gegen Hirnerkrankungen. Ein großes Problem der neuen Forschungsmethoden ist die Beantwortung ethischer Fragen sowohl zur Grausamkeit von Tierversuchen und dessen Rechtfertigung der Forschung, sowie zur Entwicklung von Tieren mit humanoiden Gehirnen.