Wie ist unsere Welt im Kleinsten aufgebaut? Dieser Frage gehen Physiker weltweit auf den Grund. Nun haben Wissenschaftler vom MIT in den Vereinigten Staaten eine „geheime Sauce“ entdeckt, die die exotischen Eigenschaften einiger neuer Quanten-Teilchen erst ermöglichen soll und eine Welt aufzeigt, die nicht mehr viel mit den Modellen klassischer Physik zu tun hat. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher im Fachmagazin Nature Physics.
Erstmaliger Nachweis von Kagome Metallen
Theoretisch waren die Physiker längst davon überzeugt, dass es diese Sauce, die auch als Kagome Metall bekannt ist, geben müsse. Mathematische Berechnungen hatten dies vorhergesagt. Erstmalig konnte das Material jetzt auch im Labor beobachtet werden.
Die Entdeckung könnte in der Entwicklung neuer Supraleitungen und Quantencomputer eine erhebliche Rolle spielen. „Die Hoffnung ist, dass unser neues Verständnis der elektronischen Struktur eines Kagome Metalls dazu führen wird, dass wir eine geeignete Plattform für die Entdeckung anderer Quantum Materialien aufbauen können“, so Riccardo Comin, Development Assistent Professor der MIT.
Die Quantenmechanik gilt als einer der großen Hoffnungsträger der modernen Physik. Während Einsteins Relativitätstheorie nach wie vor als Maß aller Dinge gilt, wenn es darum geht, die Welt zu erklären und Gravitation zu verstehen – selbst schwarze Löcher konnte Einstein seinerzeit mathematisch und physikalisch vorhersagen – entziehen sich bestimmte Phänomene, die meist in der Welt der kleinsten Bausteine von Materie anzusiedeln sind, vollständig den Prinzipien und Regeln der Relativität. Noch immer hat die Wissenschaft keine konkrete Erklärung, wie etwa Elektronen oder Quarks im Einzelnen funktionieren.
Elektronen richten sich kollektiv zu Mustern aus
Gerade auch daher ist die Beobachtung des Kagome Metalls so interessant. Es erlaubt die Darstellung von Quantenmechanik auf einem makroskopischen Level. Bereits 2018 gab das MIT eine Studie der Physiker Comin und Joseph Checkelsky heraus, die sich mit der Materie intensiver auseinandersetzte. Seither war der theoretische Aufbau formuliert. So wird ein Kagome Metall aus einer Schicht von Atomen aufgebaut, die in etwa in der Form eines David- oder Sheriff-Sterns zueinander ausgerichtet sind. „Diese neue Familie von Materialien hat als Spielwiese für Quanten-Materie, die exotische Eigenschaften aufweist wie etwa Supraleitfähigkeit, Nematizität und Wellen von Ladungsdichte, viel Aufmerksamkeit erregt“, so Comin.
Möglich wurde die Darstellung des neuen Materials über das Synthetisieren von singulären Kristallen. Lediglich drei Elemente kamen hierfür zum Einsatz: Cäsium, Vanadium und Antimon. Sie bilden die chemische Formel CsV3Sb5. Kühlt man diese Zusammensetzung auf 3 Kelvin (etwa -270°C), beginnen die Elektronen ihren Zustand zu verändern und verschränken ihre Aktivitäten. Die Verschränkung von Teilchen ist eine der mysteriösen Vorgänge der Quantenmechanik. „Sie sprechen zueinander, anstelle sich unabhängig voneinander zu bewegen“, kommentiert Prof. Comin. Dieser Zustand ist für die Supraleitfähigkeit entscheidend. Mit minimalem Energieaufwand kann so Elektrizität mit enormer Effizienz weitergeleitet werden.
„Geheime Sauce“ setzt die Regeln klassischer Physik außer Kraft
Bei einer Temperatur von 100 Kelvin (etwa -173°C) treten Wellen von Ladungsdichte auf. In diesem Zustand erfolgt also abermals eine vollkommen neue Ausrichtung der Elektronen und kreieren ein Muster, das mit Sanddünen vergleichbar wäre. Dort, wo diese „Düne“ ihren höchsten Punkt hat, ist die Dichte der Elektronen am größten. Dabei sind die Elementarteilchen völlig bewegungslos. „Sie gehen nirgendwo hin; sie sind an dem Platz gefangen“, so Comin weiter. „Wellen von Ladungsdichte sind völlig anders als ein Superkonduktor, aber sie sind immer noch ein Materie-Zustand, in dem sich die Elektronen in einer kollektiven und hoch organisierten Art und Weise organisieren müssen. […] So formen sie ein statisches Muster.“
Normalerweise können Supraleitfähigkeit und Ladungsdichte-Wellen nicht gleichzeitig existieren. Umso erstaunlicher sei es, beide Zustände nun in einem einzigen Material beobachten zu können. Möglich wird diese „geheime Sauce“ durch die sogenannte elektronische van Hove Singularität im Kagome Metall. Sie führt dazu, dass sich die Elektronen zwar mit unterschiedlicher Geschwindigkeit im Material bewegen können, jedoch allesamt die gleiche Energie aufweisen. Dies steht völlig konträr zu den Regeln klassicher Physik und Einsteins Relativität.
Bildquelle: Comin Laboratory, MIT