Die Annahme, dass die Schwerkraft auf die Zeit wirkt, ist seit Einsteins Relativitätstheorie ein fester Bestandteil der Physik. Demnach müsste auf dem höchsten Gipfel die Zeit schneller vergehen, als in den Tiefen eines Tals. Theoretisch. Forscher aus Braunschweig haben nun mithilfe einer transportablen Atomuhr den praktischen Beweis geliefert. Kaum überraschend, aber Einstein hatte recht.
Zeit ist relativ
Albert Einsteins Postulat revolutionierte vor einem Jahrhundert das Weltbild der Physik und gehört heute in vielen Disziplinen zum theoretischen Handwerkszeug.
Wenn Zeit keine feste Größe ist, sondern von Geschwindigkeit und Gravitation abhängt, dann müsste man dies auch auf der Erde messen können. Denn die Zeitdehnung müsste sich verändern, umso weiter man sich vom Erdkern entfernt. Somit müsste eine Uhr auf einem Berggipfel durch die geringere Gravitation theoretisch ein Winziges bisschen schneller ticken, als im Tal. Obwohl modernste Atomuhren mittlerweile in der Lage sind, Zeitdehnungen durch die Schwerkraft zu messen, kamen diese bisher nur in speziellen Laboren zum Einsatz. Bei der komplexen Technik werden Strotoniumatome in der Frequenz eines Lasers zum Wechsel ihres Energiezustandes angeregt. Dieses Hin- und Herspringen entspricht dem Ticken eines Uhrenzeigers. Eine solche Apparatur in ein anderes Labor zu transportieren, war lange nicht möglich. Somit konnte die Annahme, im Gebirge verlaufe die Zeit ein wenig schneller, bis jetzt nie geprüft werden. Nun gelang es einer Forschergruppe der Physikalischen-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig (PTB) mithilfe einer mobilen Strontium-Atomuhr den Beweis zu erbringen.
Mit einer mobilen Atomuhr ab in die Berge
„Das ist die erste Feld-Messkampagne mit einer transportablen Strontium-Atomuhr“, konstatiert Jacopo Grotti von der PTB. Er und seine Kollegen entwickelten eine Uhr, die sie samt feinst justierter Laser und sensibler Kühlaggregate in einen Bergtunnel in den französischen Alpen brachten.Dort wurde die Atomuhr in einem Untergrundlabor aufgebaut. Die hochempfindliche Apparatur wurde dafür eigens in einem schwingungsgedämpften und temperaturstabilisierten PKW-Anhänger untergebracht. Obwohl die Bedingungen mitten im Frejus-Tunnels nicht ideal waren, erzielten die Forscher präzise Messungen der Zeit. Um einen direkten Vergleich zu erhalten, wurde gleichzeitig in einem Labor in Turin eine Messung durchgeführt. Die Stadt liegt 1000 Meter tiefer als der Bergtunnel. Damit ein exakter Uhrenvergleich möglich war, mussten die Labore mit einem 150 Kilometer langen Glasfaserkabel verbunden werden. Und der Vergleich glückte. Das Team konnte einen Unterschied von 47,92 Hertz nachweisen. Der daraus ermittelte Unterschied im Gravitationspotenzial an den beiden Orten stimmte mit den Ergebnissen klassischer Methoden überein. Damit war die Funktionsfähigkeit der transportablen Uhr, aber auch Einsteins Postulat belegt.
Erst reine Theorie, dann praktischer Nutzen
Mit diesem technischen Durchbruch erhofft man sich zum Beispiel, in Zukunft feinste Veränderungen des Meeresspiegels und der Ozeanströmungen messen zu können. Denn umgerüstet wird die transportable Atomuhr zu einem Präzisionsinstrument, mit dem man Höhenunterschiede der Erdoberfläche noch exakter bestimmen kann als mit Satellitenmessungen. Mit dem Einsatz einer solchen Technik wäre es beispielsweise auch beim Bau der Hochrheinbrücke nicht zu einer folgenschweren Panne gekommen. Denn verschiedene Länder setzen für ihre Höhenmessungen unterschiedliche Meeresspiegelwerte an, was zu Problemen bei Bauvorhaben führen kann. In diesem Fall zeigte sich an den unterschiedlich hoch gebauten Brückenteilen der Schweiz und Deutschlands, dass sich die Meeresspiegelwerte der Länder um 50 Zentimeter unterscheiden. Solche Fehler könnten durch die neue Möglichkeit Höhenmessungen mithilfe von Atomuhren vermieden werden, erklären die Forscher.