Edgar L. Gärtner
Nach der offiziellen Statistik fallen Frauen etwa doppelt so häufig in Depressionen wie Männer. Deshalb gelten Depressionen auch in der veröffentlichten Meinung als typische Frauen-Leiden. Diesem Eindruck widerspricht allerdings die Tatsache, dass sich mehr als dreimal so viele Männer das Leben nehmen wie Frauen. Da bekannt ist, dass etwa 70 Prozent aller Selbstmord-Kandidaten als depressiv diagnostiziert werden, zeigt sich hier ein Widerspruch. Es muss also eher davon ausgegangen werden, das das Risiko, an einer Depression zu erkranken, bei beiden Geschlechtern etwa gleich hoch ist.
Die Statistik kann allerdings dadurch zu einem irreführenden Eindruck gelangen, dass Frauen und Männer bei Selbstmordversuchen in der Regel nicht die gleichen Methoden anwenden. Frauen bevorzugen starke Schlaftabletten oder ähnliches und werden dann oft im letzten Moment gerettet, indem man ihnen den Magen auspumpt. Männer erhängen sich öfter oder werfen sich vor einen Zug, was eine Rettung unwahrscheinlich macht.
Dr. Michael Putzke, Facharzt für Psychiatrie am Bad Nauheimer Hochwald-Krankenhaus, hat sich vor kurzem in einem von der „Wetterauer Zeitung“ veröffentlichten längeren Interview mit dem unterschiedlichen Umgang von Frauen und Männern mit psychischen Belastungen beschäftigt. Frauen gelten im Hinblick auf den Leistungsdruck und die häufig wechselnden Anforderung der modernen Arbeitswelt übrigens als grundsätzlich fitter als die Männer, weil sie flexibler reagieren und öfters das „Multitasking“ beherrschen. Männer tun sich oft schwerer damit, lassen sich das aber nicht anmerken, weil Passivität, Traurigkeit und Antriebsschwäche noch immer als typisch weibliche Eigenschaften gelten. Als männlich gilt hingegen der Versuch, Depressionen zu verbergen beziehungsweise allein durch Willensstärke zu überwinden. „Männer leiden still und leugnen laut.“ So bringt es Dr. Putzke auf den Punkt. Er sieht darin den Hauptgrund für die hohe Dunkelziffer in der statistischen Erfassung von Depressionen bei Männern.
Mit Arbeitsunfähigkeit infolge psychischer Probleme konfrontiert, sprechen Männer eher von „Burn-out“ als von Depression. Denn die Diagnose „Burn-out“ legt nahe, dass sie vorher versucht haben, heldenhaft ihren Mann zu stehen und sich dabei verausgabt haben. Da es ohnehin schwierig ist, Burn-out und Depression, differentialdiagnostisch sauber voneinander abzugrenzen, verbergen sich bei Männern vermutlich viele Depressionen hinter der sozial besser akzeptierten Diagnose „Burn-out“. Dennoch sei es wichtig, eine Depression klar zu diagnostizieren, betont Dr. Putzke. Bleibe sie nämlich unbehandelt, könne sie leicht chronisch werden und vergrößere dann auch das Risiko somatischer Erkrankungen wie Herz- und Gefäßkrankheiten, Schlaganfall oder Diabetes.
Nach der neuesten Gesundheitsbefragung (Ehis) der EU werden übrigens Symptome der Depression in Deutschland mit 9,2 Prozent der Antworten deutlich häufiger angegeben als im Durchschnitt der EU mit 6,6 Prozent. Nach Luxemburg (mit 10 Prozent) gilt Deutschland von den 25 Ländern, die an der Befragung teilgenommen haben, als das europäische Land mit den meisten Depressionen.