In den vergangenen Tagen geriet Facebook ins Kreuzfeuer der Kritik. Als Folge des Cambridge Analytica-Skandals steht das soziale Netzwerk unter dem Druck seiner Kritiker. Der Börsenwert der Gruppe sank um 100 Milliarden. Mark Zuckerberg, Facebook’s charismatischer Gründer, musste sich öffentlich entschuldigen, und es stellte sich heraus, dass er eine umfassende Überarbeitung der Datenschutzrichtlinien durchführte. Dieser Skandal passiert zu einem Zeitpunkt, in dem die DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung) in Kraft tritt und die Europäische Union mit seinen Einflusskräften gegen dieses soziale Netz im Besonderen, und die sozialen Medien im Allgemeinen, vorgeht und zwar in Bezug auf drei Schwerpunktbereiche: den Schutz personenbezogener Daten, einer Steuerregelung, die für die großen 5 Technologieunternehmen (oder GAFAM->Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft) geeignet ist, und schließlich der Bekämpfung von Falschnachrichten (Fake News). Es ist der dritte Schwerpunktbereich auf den ich genauer eingehen möchte, insbesondere auf einen bestimmten Aspekt: Spielt Facebook eine positive Rolle zur Förderung einer Kultur des wissenschaftlichen Denkens?
Wissenschaftler waren oft die ersten, die das soziale Netzwerk kritisierten, und prägten den abweisenden Begriff „Facebook Wissenschaft“ für die Art von Inhalten, die meist aus pseudowissenschaftlichen Meinungen bestehen und über soziale Medien verbreitet werden. Es gibt genügend Nachforschungen zur Unterstützung dieser Ansicht. Die von Smith & Graham durchgeführte Studie „Mapping the anti-vaccination movement on Facebook“ konzentrierte sich auf das Wachstum von Anti-Impfbewegungen im sozialen Netzwerk. Die Autoren beschlossen, sechs der größten Facebook-Seiten dieser Bewegung in den USA und Australien zu studieren: „Fans der AVN“, „Dr. Tenpenny über Impfstoffe“, „Großartige Mütter (und andere), die Impfstoffe in Frage stellen“, „Keine Impfstoffe Australien“, „Alter des Autismus“ und „Wut gegen die Impfstoffe“…. Die Studie zeigte einige charakteristische Merkmale dieser Gemeinschaften auf: Einige Gruppenleiter sind z.B. sehr aktiv und wenden sich an verschiedene Gruppen um dieselben Nachrichten zu veröffentlichen, das folglich zu erhöhter Sichtbarkeit führt.
Die Autoren kommen zu dem Schluss: „Bedenken bzgl. Impfungen offenbart eine Gemeinschaft, die sich verfolgt fühlt und der gängigen medizinischen Praxis und staatlich sanktionierten Methoden zur Vorbeugung von Krankheiten misstraut. Für eine Generation, die diese Krankheiten selten am eigenen Leibe erlebt hat, scheint das Risiko einer Nebenwirkung unmittelbarer und dringender zu sein, als die Vorbeugung von Krankheiten“.[1] In der wohlbekannten „wissenschaftsbasierten Medizin“ (Science-Based Medicine) macht Dr. David Gorski eine interessante Bemerkung zu dieser Studie: „Das Problem im Umgang mit Anti-Impfstoff-Aktivisten auf Social Media, wie auch das Problem im Umgang mit vielen Gruppen, die sich der Pseudowissenschaft, den Verschwörungstheorien und Fehlinformationen widmen, liegt darin, wie man in diese Klatsch und Tratsch Runde eindringt, wo Fehlinformationen verstärkt werden und versucht wird, wissenschaftliche Beweise zu ignorieren oder anzugreifen. Das bleibt eines der großen Probleme des 21. Jahrhunderts.“ [2] Mehr zu diesem Thema weiter unten, aber Gorski fasst das Problem kurz zusammen.
Facebook nur in Bezug auf seine „Anti-Wissenschafts“ Gemeinschaften zu betrachten, wäre jedoch beschränkend. Eine neu veröffentlichte Studie von Paul Hitlin und Kenneth Olmstead mit dem Titel „The Science People See On Social Media“ zeigt, dass „Millionen von Menschen wissenschaftliche Informationen auf ihren Facebook-Feeds oder anderswo in sozialen Netzwerken sehen“….. Dies wird durch folgendes bestätigt „die Art von Wissenschaftsgeschichten, die Menschen am ehesten zu hören bekommen, sind oft eher praktische Tipps mit „Nachrichten, die man nutzen kann“ oder Werbeaktionen für Programme und Veranstaltungen, als neue Entwicklungen in der Welt der Wissenschaft, Technik und Technologie.”[3] Für die Studie haben die Autoren 6 Monate lang 30 der beliebtesten wissenschaftlichen Seiten auf Facebook analysiert und 130 932 Inhalte von diesen Seiten, die zwischen 3 und 44 Millionen Anhänger haben, untersucht.
Dazu zählten: IFLScience (25,6 Millionen), National Geographic (44,3 Millionen), Discovery (39 Millionen), Animal Planet (20 Millionen), NASA (19,4 Millionen), Health Digest (11,1 Millionen)…. Sie führten auch eine Umfrage unter Facebook-Nutzern in den USA durch, die zu folgenden Schlüsselergebnissen führte: „26% folgen einer wissenschaftlichen Seite“, „33% halten Social Media für eine wichtige Informationsquelle, um wissenschaftliche Nachrichten zu erhalten“ und schließlich „44% behaupten, dass sie Nachrichten über Social Media sehen, die sie anderswo nicht gesehen haben“.
Diese ermutigenden Ergebnisse werden leider dadurch untergraben, dass die fraglichen wissenschaftlichen Seiten oft nichts dergleichen sind. Von allen veröffentlichten Inhalten waren nur 29% Informationen über wissenschaftliche Entdeckungen, 21% waren von der Sorte “ Nachrichten, die man nutzen kann“ (news you can use), 16% waren Werbung oder Verkaufsförderung, und 34% waren Inhalte aller anderen Arten.
Sie haben auch festgestellt, dass die Anzahl der Beiträge zum Thema Wissenschaft in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist, von 31 091 im Jahr 2014 auf 51 714 im Jahr 2017 für „primäre“ Facebook-Inhalte (d.h. die ausschließlich im sozialen Netzwerk erschienen sind). Die Autoren unterscheiden zwischen Seiten, die ihren Ursprung auf Facebook haben, und solchen, die Kanäle von Multiplattform-Organisationen sind, wie zum Beispiel National Geographic. Während letztere tendenziell einflussreicher sind und mehr Inhalte aufweisen, haben die ersteren die Messlatte für sie hoch gelegt – zum Beispiel IFLScience, das von einem einzigen unternehmerischen Autor gegründet wurde, der sehr früh in diese Nische eingestiegen ist, und über 25 Millionen Anhänger gewinnen konnte.
Ausgehend von diesen beiden Studien scheint es schwierig zu sein, eine Rechtfertigung dafür zu finden, dass Facebook eine nützliche Website zur Förderung der Wissenschaft sein könnte. Bevor man jedoch das soziale Netzwerk scharf verurteilt und es, wie einige es gerne hätten, als Hauptseite für die Verbreitung von Pseudowissenschaften brandmarkt, lohnt es sich, noch einige weitere Punkte zu bedenken. Erstens gab es die Pseudowissenschaft schon lange vor Social Media. Auch wenn es darum geht, den wissenschaftlichen Fortschritt zu bezweifeln oder gar zu bekämpfen, ist die Geschichte mit illustren Beispielen übersät (die Ludditen kommen einem dabei sofort in den Sinn, aber es gibt viele andere). Natürlich waren die nichtstaatlichen Organisationen, die in Sachen Agit-Prop weit voraus waren, viel schneller damit, das Internet und die sozialen Medien zu nutzen, als die Wissenschaftler selbst, und so waren sie in der Lage, ihre Ideen schnell und weitreichend zu verbreiten. Wir haben bereits gesehen, wie das Internet mit gefälschten Petitionen überfüllt ist, und wie das, das wahre Ausmaß dieser neuen digitalen Mittel zeigt. Das Thema dreht sich um die Einfachheit, eine einzige Information zu teilen und zu unterstützen, und unter diesem Gesichtspunkt sehen Facebook und andere (Twitter, LinkedIn, Change….) im Sinne der Anklage schuldig aus. Aber sind die, die die sozialen Netzwerke von vornherein verurteilen, etwas voreilig?
Facebook hat nie wirklich etwas selbst geschaffen, und schon gar nicht die gefälschten wissenschaftlichen Nachrichten. Wäre Tschernobyl heute passiert, gäbe es zweifellos eine Facebook-Gruppe die in etwa folgendermaßen heißen würde „Wir glauben nicht, dass die Wolke am Grenzübergang angehalten hat“. Facebook erstellt im Grunde nichts, es handelt sich hierbei nur um einen Satz von Algorithmen. Man spricht von einem Aggregator, der die Benutzer und den Inhalt aggregiert. Es ist klar, dass dieser Aggregationsmechanismus dazu beiträgt, den Einfluss bestimmter Ideen zu verstärken. Aber ist das nicht eine große Chance für die wissenschaftliche Gemeinschaft, die das Beste aus diesem Jackpot machen könnte, indem sie von ihren Elfenbeintürmen herabsteigt und die Verantwortung dafür übernimmt, Informationen – mit Hilfe von Werkzeugen beispielloser Leistungsfähigkeit – zu verbreiten. Sie können ihre Entdeckungen Nicht-Wissenschaftlern erklären, mit ihnen über die Auswirkungen diskutieren, den kompletten After-Sales-Service zur Wissenschaftspolitik durchführen…. Diese Rolle wird heutzutage zunehmend vonnöten sein.
[1] Diese „gerechte Entrüstung“ in Kombination mit den in dieser Studie identifizierten Netzwerkmerkmalen zeigt, dass Anti-Impfgemeinschaften wahrscheinlich über die Zeit und den gesamten Globus hinweg bestehen bleiben, da sie die Möglichkeiten von Social Media Plattformen zur Verbreitung von Anti-Impfinformationen nutzen. „Bedenken bzgl. der Impfung offenbart eine Gemeinschaft, die sich verfolgt fühlt und der gängigen medizinischen Praxis und staatlich sanktionierten Methoden zur Vorbeugung von Krankheiten misstraut. Für eine Generation, die diese Krankheiten selten am eigenen Leibe erlebt hat, scheint das Risiko einer Nebenwirkung unmittelbarer und dringender zu sein, als die Vorbeugung von Krankheiten“ (Davies et al., 2002). In „Mapping the Anti-Vaccination Movement on Facebook“, Naomi Smith & Tim Graham „Mapping the Anti-Vaccination Movement on Facebook“, Naomi Smith & Tim Graham, erhalten 05 Jan 2017, akzeptiert 13 Dec 2017, https://tandfonline.com/doi/ full / 10.1080 / 1369118X.2017.1418406
[2] “Das Problem im Umgang mit Anti-Impfstoff-Aktivisten auf Social Media, wie auch das Problem im Umgang mit vielen Gruppen, die sich der Pseudowissenschaft, den Verschwörungstheorien und Fehlinformationen widmen, liegt darin, wie man in diese Klatsch und Tratsch Runde eindringt, wo Fehlinformationen verstärkt werden und versucht wird, wissenschaftliche Beweise zu ignorieren oder anzugreifen. Das bleibt eines der großen Probleme des 21. Jahrhunderts.“ in „The characteristics of antivaccine networks on Facebook“, David Gorski 8. Januar 2018, https://sciencebasedmedicine.org/the-characteristics-of-antivaccine-networks-on-facebook/
[3] „Millionen von Menschen wissenschaftliche Informationen auf ihren Facebook-Feeds oder anderswo in sozialen Netzwerken sehen“….. Dies wird durch folgendes bestätigt „die Art von Wissenschaftsgeschichten, die Menschen am ehesten zu hören bekommen, sind oft eher praktische Tipps mit „Nachrichten, die man nutzen kann“ oder Werbeaktionen für Programme und Veranstaltungen, als neue Entwicklungen in der Welt der Wissenschaft, Technik und Technologie.”, The Science People See on Social Media, Paul Hitlin and Kenneth Olmstead, Pew Research Center, http://www.pewinternet.org/2018/03/21/the-science-people-see-on-social-media/
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